Zum diesjährigen Volkstrauertag am 19.11.2017 in Garbsen hielt unser Fördermitglied Major d.R. Dr. Matthias Witt-Brummermann vor 120 Zuhörern eine Gastrede, in der er auch das Engagement des FUAV würdigte. Hierbei hob er insbesondere heraus, dass unser Förderverein u.a durch Anschaffung besonderer Sportgeräte die wichtige und gute Arbeit der Bundeswehr am Standort Warendorf ergänzend unterstützt.

Näheres können Sie seiner nachstehenden Rede entnehmen:

„Posttraumatische Belastungsstörungen (PTBS)“     
Ansprache zum Volkstrauertag 2017 im Rathaus Garbsen – Dr. Matthias Witt-Brummermann

Volkstrauertag. Wir gedenken heute der Opfer von Gewalt und Krieg – Kindern, Frauen und Männern aller Völker. Das sind nicht nur die Kriegstoten, sondern auch jene, die körperliche und seelische Schäden aus Kriegshandlungen und Kriegsfolgen davongetragen haben. Und es sind nicht nur die Opfer der Weltkriege, sondern auch die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr, die mit körperlichen Beeinträchtigungen aus dem Einsatz zurückgekehrt sind oder in der Folge besonderer Einsätze unserer Streitkräfte seelische Wunden erlitten haben. Es sind auch die Flüchtlinge, die oft traumatisiert den Weg aus den Kriegs- und Krisengebieten Afrikas und Asiens nach Europa geschafft haben.  

Sehr geehrter Herr Bürgermeister Dr. Grahl, Herr Ortsbürgermeister Genegel, liebe Frau Pastorin Muckelberg, meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kameradinnen und Kameraden!

In der Medizin und der Psychologie findet sich seit den Zeiten des Vietnamkriegs der Begriff „Posttraumatische Belastungsstörungen (PTBS)“.

Was ist das eigentlich?

Zunächst einmal ist da das sogenannte Trauma. Zum Beispiel eine lebensbedrohliche Situation, der Umgang mit Tod und Sterben. Oder auch das Erleben von Gewalt und Zerstörung. Das ist nichts spezifisch Militärisches, sondern kann jedem auch von uns hier jederzeit passieren: bei Unfällen, als Opfer einer Gewalttat oder als Zeuge schwerer Zerstörung beispielsweise nach einem Großbrand. Auch pflegende Angehörige sind bei Grenzerfahrungen zwischen Leben und Tod oft allein.

Viele Menschen können solches Geschehen nach anfänglich unruhiger Zeit rasch verarbeiten und gut in das Universum ihrer Lebenserfahrungen integrieren. Zu gesundheitlichen Schwierigkeiten kommt es dann, wenn das Erlebte albtraumhaft wiedererlebt wird in unvermittelt einschießenden Gedanken, Bildern oder Bildsequenzen. Betroffene durchleben eine traumatische Situation immer und immer wieder, häufig sogar mit gleichen Gefühlen oder Geschmacksempfindungen. Auslöser dafür sind in vielen Fällen sogenannte Trigger: Das können bestimmte Gesprächsthemen, Bilder in einer Zeitung oder Fernsehberichte sein, die an das traumatische Ereignis erinnern. Aber auch Geräusche, Gerüche oder sogar Beleuchtungsstimmungen, die damit verbunden werden. Viele ältere Menschen zum Beispiel zucken noch immer unruhig zusammen, wenn sie das Geräusch einer Sirene oder eines tieffliegenden Flugzeugs hören, weil sie Bombenangriffe im Zweiten Weltkrieg miterlebt haben. Oder sie erinnern beim Hören bestimmter Sprachmelodien sexuelle Übergriffe und Vergewaltigungen aus Kriegs- und Nachkriegszeit.         

In Altenpflegeheimen kommen diese Erlebnisse oft wieder zum Tragen, wenn psychische Schutzmechanismen zum Beispiel durch den geistigen Abbauprozess bei einer Demenz schwinden.

Eine typische Reaktion in solchen Fällen ist das Vermeiden bestimmter Personen, Situationen oder Orte – bis hin zu einer sozialen Isolation aus Angst. Andere zeigen eine überhöhte Wachsamkeit, Hyperaktivität und Reizbarkeit bis hin zur Aggressivität. Viele hadern schuldbewusst mit dem Ereignis, sich selbst zugeschriebener Verantwortung für das Geschehen. Hätte das Geschehen vermieden werden können? Manche entwickeln sich nach und nach zu eigenwilligen Eigenbrötlern außerhalb unserer Gesellschaft, ohne dass es dafür andere gesundheitliche Ursachen gäbe. Solche vom zweiten Weltkrieg gezeichneten Menschen habe ich noch in meiner Kindheit und Jugend häufiger auf dem Lande erlebt. Heute begegnen sie mir zu einem deutlich früheren Zeitpunkt der Erkrankungsgeschichte im Alltag der Krankenhäuser.    

Das Erkrankungsbild wird schon seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts als „Soldier’s heart“ nach dem amerikanischen Unabhängigkeitskrieg als spezifische Herzerkrankung bei Soldaten beschrieben. Oder als „Schützengrabenneurose“, „Granatschock“ bzw. mit dem Begriff „Kriegszitterer“ nach den menschenvernichtenden Schlachten des 1. Weltkriegs.

Während des 2. Weltkriegs wurden einsatzfähige psychosomatisch erkrankte Soldaten in „Magenbataillonen“ zusammengefasst und erneut in den Einsatz geschickt. All diese Erkrankten würden wir heute auf das Vorliegen einer posttraumatischen Belastungsstörung untersuchen.

Wie viele Soldaten der Weltkriege psychisch traumatisiert wurden, können wir heute kaum erahnen. Eine große Zahl von ihnen ist wahrscheinlich gefallen oder hat eine Kriegsgefangenschaft nicht überlebt. („Babylon Berlin“ in der ARD 2018)

Gute Behandlungsmöglichkeiten gab es damals noch nicht. Traumatisierte waren auf eigene Bewältigungsstrategien angewiesen. Ein Überlebens- und Schutzfaktor vor der Entwicklung einer PTBS könnte vielleicht in einer anderen Form der Kriegsführung und der Lebensumstände zu finden sein:

Die körperliche Beanspruchung der Soldaten war durch lange Fußmarschstrecken und geringere Motorisierung der Truppen erheblich höher als heute. Dadurch wurden Symptome von Stress und die ihn beeinflussende Hormone schneller abgebaut. Es klingt vielleicht etwas überraschend, aber auch körperlich schwere Arbeit in der Kriegsgefangenschaft mag bei manchem Soldaten so das Überleben gesichert haben. Und dies setzte sich wohl im Alltag der Nachkriegszeit fort bei Aufräum- und Aufbauarbeiten oder Tätigkeiten in Industrie und Handwerk ohne viele technische Unterstützung.

Ein Dunkelbereich unzureichender Verarbeitung von Kriegserlebnissen dürfte in hohem Alkoholverbrauch bzw. Drogenkonsum und in der Häufigkeit häuslicher Gewalt zu vermuten sein.

Krieg war ein kollektives Erlebnis der Gesellschaft: In ziemlich jeder Familie gab es Kriegsteilnehmer und wahrscheinlich auch Opfer. Viele erlebten auch in ihrer Heimat direkte Bedrohung durch Bombenangriffe oder Beschuss beim Näherrücken der Fronten. Zum Kriegsende erlebten alle die Besetzung ihrer Wohnorte, für Zigtausende bedeutete dies den Beginn von Flucht und Vertreibung, den Verlust von Hab, Gut und Heimat.

Heutzutage gehen Bundeswehrsoldatinnen und -soldaten gut vorbereitet in die Einsätze. In der Ausbildung werden speziell Konfliktsituation durchgespielt und Handlungsmöglichkeiten eingeübt. Dazu gehört auch der Umgang mit Stress und Einsatzbelastungen. Jedoch lassen sich auch hier nicht alle möglichen Situationen eines Einsatzes bestmöglich simulieren.

Die Zahl der Behandlungsfälle psychisch Einsatzverletzter in den Bundeswehrkrankenhäusern ist in den letzten Jahren von etwa 730  im Jahr 2010 auf etwa 1.600 im Jahr 2016 gestiegen – erstmals wieder mit sinkender Tendenz. Tatsächlich geht es dabei um aktuell etwa 600 Patientinnen und Patienten. Eine Erklärung für dieses Anwachsen ist weniger in der Schwere der Einsätze zu suchen.

Eher ist es ein Anzeichen dafür, dass unsere Soldatinnen und Soldaten häufiger bereit sind, medizinisch-psychologische Hilfen bei der Bewältigung von Einsatzgeschehen in Anspruch zu nehmen. Es ist kein Tabu mehr! Hinzu kommt, dass die medizinische Zählweise der Behandlungsfälle eine lange Behandlungsdauer – zum Teil mehrfach in einem Jahr, aber auch über mehrere Jahre hinweg – widerspiegelt. Dennoch ist auch eine Dunkelziffer etwa in gleicher Höhe von Betroffenen anzunehmen, die versucht, Probleme in Eigenregie zu bewältigen, nicht als Schwächling gelten will oder Karrierenachteile befürchtet. Hier ist noch im Sinne der Inneren Führung intensive Aufklärungsarbeit notwendig bei den Soldatinnen und Soldaten selbst, aber auch bei ihren Vorgesetzten, damit diese verantwortungsvoll ihrer Fürsorgepflicht nachkommen.

Die Bundeswehr hat sich seit der Aussetzung der Wehrpflicht zum Juli 2011 in eine Freiwilligenarmee gewandelt. Inzwischen gibt es eine Soldatenarbeitszeitverordnung, die – neben anderen Verbesserungen – den Beruf als Soldatin oder Soldat attraktiver machen soll. Viele Angehörige der Bundeswehr sind dadurch nur noch tagsüber in der Kaserne, nachts Heimschläfer im vertrauten Umfeld ihrer heilen Welt des Wohngebiets bei der Familie. Nachbarn und Freunde wissen dann vielleicht von dem Beruf, in der Regel aber nicht viel über die tatsächlichen Anforderungen in den besonderen Auslandseinsätzen. Familien im Einsatz stoßen dann mit ihrer außergewöhnlichen Lebenssituation auf wenig Gespür, eher auf unverständige Neugier der Nachbarschaft.  

Gerade die Kinder als schwächste Mitglieder einer Familie, die sich die Berufe ihrer Eltern nicht aussuchen konnten, benötigen in solchen Zeiten besondere Solidarität und viel Verständnis. Ist ein Elternteil traumatisiert, können Kinder selbst psychisch erkranken. Das reicht von Verhaltensauffälligkeiten bis hin zum vollständigen Verlust der Kontaktfähigkeit, einer schwer zu therapierenden Krankheit, dem sogenannten Resignation Syndrome.

Das für den Einsatz so wichtige „Team-Building“, das Formen einer Einheit, in der jeder jeden kennt und sich auf ihn oder sie blind verlassen kann, kommt dadurch etwas zu kurz oder muss aufwändig in der Einsatzvorbereitung auf Truppenübungsplätzen gefördert werden. Je besser dies gelingt, desto höher ist die „Resilienz“ der Soldatinnen und Soldaten, ihre psychische Widerstandsfähigkeit.

Kommt es dann während einer Patrouillenfahrt oder beim täglichen Dienst in einem Feldlager zu besonderen Belastungen oder Zwischenfällen, steht vor Ort ein Psychosoziales Netzwerk aus Ärzten, Psychologen, Seelsorgern und Sozialarbeitern bereit. Medizinische Versorgung und Betreuung sind ständig auf hohem Standard sichergestellt. Sollten die Möglichkeiten im Einsatzland nicht ausreichen, werden Soldatinnen und Soldaten ins Heimatland repatriiert.  Gut ausgestattete Bundeswehrkrankenhäuser stehen hier für eine umfassende Behandlung und Therapie körperlicher und seelischer Verletzungen zur Verfügung.   

Bei bleibenden Schäden oder dauerhaften Beeinträchtigungen ist in den letzten Jahren eine umfassende soziale Absicherung durch den Deutschen Bundestag für seine Parlamentsarmee geschaffen worden. Neben Entschädigungszahlungen und verbesserten Versorgungsbezügen gibt es die Möglichkeit, zeitlich befristet weiter als Soldatin oder Soldat je nach persönlichen Fähigkeiten weiterverwendet zu werden. In dieser Zeit besteht ebenfalls die Gelegenheit, Therapien fortzuführen und ggf. eine berufliche Neuorientierung ohne finanziellen und zeitlichen Druck vorzunehmen. Unter bestimmten Voraussetzungen können Einsatzversehrte auch in das Verhältnis eines Berufssoldaten berufen werden.

Der Umgang mit einer einsatzbedingten Verletzung erzeugt allein schon wegen des Rollenwechsels von „Soldat im Einsatz“ zu „einsatzverletzter Soldat“ ein hohes Maß an Stress. Bei einer körperlichen Verwundung wird zusätzlich die Psyche in Mitleidenschaft gezogen. Hier ist eine möglichst umfassende seelische Betreuung notwendig, um der Komplikation eines Erkrankungsbildes durch die Entwicklung  einer posttraumatischen Belastungsstörung vorzubeugen. Neben besonderen Formen der Traumapsychotherapie, Entspannungsverfahren, Ergo- und Physiotherapie sowie der Förderung alltagsbezogener Fähigkeiten kommt der Sporttherapie eine bedeutsame Rolle zu: Bewegung sorgt für einen Abbau von Stress und fördert die seelische Stabilität.       

Hier bietet die Sportschule der Bundeswehr speziell für Einsatzversehrte neu entwickelte Therapieprogramme und im Bedarfsfall individuell angepasste Hilfsmittel an. Der „Förderverein zur Unterstützung der Arbeit mit Versehrten am Zentrum für Sportmedizin der Bundeswehr e.V. (FUAV)“ stellt den Kameradinnen und Kameraden besondere Sportgeräte (z.B. Handbikes für Querschnittgelähmte oder Beinamputierte) zur Verfügung. Er ermöglicht die Teilnahme an internationalen Wettkämpfen des Versehrtensports, wie den INVICTUS-Games in diesem Sommer in Kanada. Unter der Schirmherrschaft und persönlicher Anwesenheit von HRH Prince Henry of Wales, selbst einsatzerfahrener Soldat der britischen Streitkräfte in Afghanistan, konnten sich in diesem Sommer einsatzversehrte Soldatinnen und Soldaten im sportlichen Wettkampf wieder beweisen. Neu gefundenes Selbstbewusstsein durch Beweis eigener Leistungsfähigkeit stabilisiert so die Seele und gibt neuen Lebensmut: Ich kann wieder etwas !

 

Wir gedenken heute der Opfer von Gewalt und Krieg – Kindern, Frauen und Männern aller Völker. Wir gedenken der Kriegstoten aller Nationen und Glaubensrichtungen. Wir gedenken all jener, die körperliche und seelische Schäden aus Kriegshandlungen und Kriegsfolgen davongetragen haben.

Vom Ortsbürgermeister Garbsen bekam Major d.R. Dr. Matthias Witt-Brummermann als Honorar für seine Gastrede eine Spende für den FUAV überreicht: Eine Spende in Höhe von sage und schreibe 500 Euro !

Vielen herzlichen Dank lieber Matthias für dein stetes Engagement im Sinne unseres Vereins.