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„Für die Bevölkerung sind wir unsichtbar“

Möhnesee-Körbecke, 22.09.2014. Der Möhnesaal der Dr. Becker Klinik Möhnesee ist voll besetzt. Knapp 150 Personen sind der Einladung der Rehaklinik gefolgt, um der Lesung von Gregor Weber „Krieg ist nur vorne Scheiße, hinten geht’s!“ zuzuhören. Der Autor und ehemalige Tatortkommissar hatte sich 2013 als Pressefeldwebel für einen Einsatz in Afghanistan reaktivieren lassen und seine Erfahrungen in einem Buch zusammengefasst.
Während der einstündigen Lesung gibt es viele emotionale Momente, etwa wenn Weber von seiner Rückkehr nach Deutschland berichtete. Viele der Anwesenden, darunter etliche Soldaten und Reservisten, können gut nachvollziehen, dass er sich nach vier Monaten Afghanistan mehr Wertschätzung seitens der Bundeswehr, aber auch der deutschen Gesellschaft für seinen Einsatz gewünscht hätte. „Für die Bevölkerung sind wir unsichtbar, da findet keine Auseinandersetzung statt. Das sieht man doch schon daran, dass wir von separaten, abgetrennten Terminals in den Einsatz fliegen müssen; wir könnten ja sonst jemanden mit unserer Uniform provozieren“, pflichtet ein Besucher Weber zu. Bedrücktes Schweigen herrscht auch, als Weber von den Reaktionen im Internet auf den Tod eines Kameraden erzählte. Oft habe er dort lesen müssen, dass sich der Soldat sein Schicksal selbst zuzuschreiben habe – warum gehe er schließlich zur Bundeswehr bzw. nach Afghanistan. Die Zuhörer reagieren mit Fassungslosigkeit angesichts dieser fehlenden Em-pathie.

Ein sensibles Thema
Soldaten im Auslandseinsatz – das ist gerade in Deutschland immer noch ein sensibles Thema. Auch einigen Zuhörern im Möhnesaal ist die Skepsis zum Teil anzumerken: Waffen in einem instabilen Land, Tote und Verwundete in jedem Lager. Was bringt so ein Einsatz? Hat es sich gelohnt oder hat man Afghanistan in ein noch größeres Chaos gestürzt? Es sind schwierige Fragen, die immer wieder angerissen werden an diesem Abend. „Ein schematisches Schwarz-Weiß-Denken wird der Komplexität des Themas nicht gerecht“, mahnt Weber und fordert die Zuhörer auf, sich offen und vorurteilsfrei mit den Auslandseinsätzen der Bundeswehr zu beschäftigen. „Sprechen Sie mit den Soldaten. Fragen Sie sie, wie sie ihren Einsatz erlebt haben. Die Soldaten waren vor Ort, die können Ihnen von ihren Aufgaben, Erfolgen und Misserfolgen berichten.“ Mehr Offenheit für die Erfahrungen und Einschätzungen von Soldaten – das wünscht sich Weber auch von der Bundeswehr selbst. „Die Kameraden haben oft ein ganz präzises Bild davon, warum etwas vor Ort geklappt hat oder eben nicht. Nur leider versickern diese Informationen zu häufig auf dem Weg nach oben.“

„Das belastet Soldaten“
Gegen eine Frage wehrt sich Weber allerdings: die nach dem Richtig oder Falsch des Aus-landeinsatzes. „Der Soldat ist in Afghanistan, weil er den Befehl dazu bekommen hat. Den Befehl hat ihm die deutsche Regierung erteilt, die Sie gewählt haben. Wenn Sie also wissen wollen, warum sich Deutschland in Afghanistan engagiert, fragen Sie Ihren Landtagsabgeordneten“, zieht Weber eine Grenze. Es ist der Chefarzt der Klinik Möhnesee, Dr. Rainer Schubmann, der ihn an dieser Stelle unterstützt. „Es ist nicht die Aufgabe der Soldaten Ihnen zu erklären, warum sie in Afghanistan sind. Das ist die Aufgabe der Politik“, zeigt sich Schubmann überzeugt. Die Soldaten versuchten – oft unter Einsatz ihres Lebens – die Lage für die Menschen vor Ort zu verbessern. Ihnen die Verantwortung für politische Entscheidungen wie den Einzug nach oder jetzt Auszug aus Afghanistan zuzuschieben, sei nicht fair. „Wenn Soldaten, die monatelang einen extremen Job gemacht haben, sich dafür auch noch rechtfertigen müssen, wenn sie wieder nachhause kommen im Sinne von ‚Was hat das denn jetzt gebracht’, dann belastet sie das zusätzlich“, führt Dr. Rainer Schubmann aus. Zu häufig erlebe er in seiner Klinik, wie Soldaten in dieser Rolle litten. Im schlimmsten Falle führe sie dazu, dass sie sich zurückzögen und gar nicht mehr über ihre Arbeit sprächen. „Und das kann dann krank machen“, warnt Schubmann und plädiert eindringlich für mehr Solidarität der Zivilbevölkerung mit den Soldaten.
Dr. Becker Klinik Möhnesee
Die Dr. Becker Klinik Möhnesee ist auf kardiologische und psychosomatische Rehabilitation spezialisiert. 2.500 Patienten werden jährlich in der nordrhein-westfälischen Klinik auf höchstem medizinischem Niveau versorgt. Seit 2000 unterstützt das Team um Chefarzt Dr. Rainer Schubmann, Oberstarzt der Reserve, in der Klinik auch Bundeswehrsoldaten erfolgreich bei ihrer Rehabilitation und der Wiederherstellung ihrer Dienstfähigkeit. Weitere Informationen unter www.dbkg.de/klinik-moehnesee oder http://www.dbkg.de/neuigkeiten/wir_unterstuetzen_bundeswehrsoldaten.html

Gregor Weber
Gregor Weber: geb. 1968 in Saarbrücken, nach Abitur und Wehrdienst bei der Marine zunächst Jurastudent, dann Germanistikstudent, dann Schauspielschüler. Seit 1995 als Fernsehschauspieler tätig – u.a. als Sohn Stefan der „Familie Heinz Becker“ und im „Tatort“ des Saarländischen Rundfunks. 2011 debütierte er als Krimiautor mit dem Titel „Feindberührung“, 2013 erschien „Keine Vergebung“. 2013 ging Weber als Feldwebel (der Reserve) für vier Monate nach Afghanistan. Er lebt auf dem Land in Oberbayern. Sein Buch „Krieg ist nur vorne scheiße, hinten geht’s“ erschien 2014 im Droemer Verlag.